Nächsten Samstag (28.09) ist ‚International Safe Abortion Day‘. Bundesweit sind deshalb diese Woche Aktionen geplant. Unter den Forderungen ist die Abschaffung von §219 StGB, dem umstrittenen „Werbeparagraphen“. Dies ist wichtig, denn:
§219a StGB ist kein Werbeverbot, sondern Informationsverbot. Wiederholt werden Ärzt*innen verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite darüber informieren, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Nach langen Protesten und viel Kritik hat die Bundesregierung deshalb Anfang des Jahres einen zu §219a beschlossen und verspricht nun Rechtssicherheit.
Die Realität ist anders. Nichts hat sich verändert. Medizinischem Fachpersonal wird weiterhin vorenthalten, Aufklärung zu betreiben. Erst vor 2 Monaten wurde die Berliner Gynäkologin Dr. Bettina Gaber verurteilt, weil sie gegen den §219a verstoße. Der entscheidende Satz auf der Webseite war: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber.“
Aber inwiefern ist eine solche Information Werbung? Können wir endlich aufhören, Informationen und ärztliche Aufklärung mit Werbung gleichzusetzen?
§219a StGB ist kein Werbeverbot, sondern Informationsverbot. Ohyouwomen.org hat eine Aktion gestartet, um dies zu verdeutlichen: „wenn Information „Werbung“ wäre, würde sie so aussehen.“
Seit Jahren wird Fachpersonal die Möglichkeit genommen, über die medizinischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs grundlegend informieren zu können. Immer wieder werden Ärzt*innen angezeigt und verurteilt mit dem Hinweis „Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ zu betreiben. Dabei ist Werbung machen oder werben das Letzte was sie tun. Sie wollen auf ihrer Webseite über die Leistungen, die sie anbieten, informieren. Und sie wollen Betroffene bereits im Vorhinein darüber aufklären – wie bei anderen Eingriffen – was sie zu erwarten haben: wie der Vorgang ist, welche Methoden, Nebenwirkungen und Risiken es ggf. gibt. Aber dies will unsere Bundesregierung unterbinden. Mit §219a werden solche Informationen unterbunden.
Nun fahren in Gießen Busse mit diesen Werbeplakaten herum. [1] Sie stammen von der christlich-fundamentalistischen Beratungsstelle ‚ProFemina‘, die noch nicht mal Beratungsscheine ausstellen darf und weder ergebnisoffen, noch neutral berät. [2] Offensichtlichere Werbung kann es doch nicht geben! Aber das ist trotzdem erlaubt.
Lieber Jens Spahn, wie kann es sein, dass Aufklärung zum Schwangerschaftsabbruch seitens Ärzt*innen als ‚Werbung‘ klassifiziert wird und verboten ist, aber wenn christlich fundamentalistische „Beratungsstellen“ mit ihrer überlebensgroßen Werbung die Bevölkerung bewusst für dumm verkaufen wollen, sich niemand in der Union und der Bundesregierung darüber aufregt?
In Deutschland ist das Recht auf (sexuelle, körperliche) Selbstbestimmung immer noch stark eingeschränkt. Mit der Regelung des Schwangerschaftsabbruches im Strafgesetzbuch ist eine selbstbestimmte Familienplanung bis dato nicht möglich. Ungewollt Schwangere müssen einen enormen Hürdenlauf absolvieren, um einen Schwangerschaftsabbruch bekommen zu können und haben mit viel stigmatisierenden Vorurteilen zu kämpfen. Beratungsstellen und Praxen werden von Mahnwachen belagert, Betroffene bedrängt. Viele Medizinstudierende sowie Assistenzärzt*innen lernen im Laufe ihrer Ausbildung wenig bis nichts zum Thema Abtreibung – auch in diesen Kreisen ist das Thema stark tabuisiert. Die Versorgungslage ist prekär: Immer weniger Ärzt*innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Die, die es tun, dürfen auf ihren Webseiten nicht – wie bei anderen Eingriffen und Leistungen – aufklären und informieren. Stattdessen drohen ihnen durch §219a Geldstrafen. Andere Webseiten, die von sog. ‚Lebensschützer*innen‘ betrieben werden und bewusst Falschinformationen verbreiten und Ärzt*innen, die Abbrüche anbieten, anprangern, dürfen jedoch weiter existieren.
Wir haben das Jahr 2019 und das sind die Umstände, in denen wir in Deutschland leben. Die Bundesregierung glaubt, sie hätte genug mit ihrem Kompromiss getan. Die Wahrheit ist: es gibt keine Rechtssicherheit – immer noch nicht. Es hat sich nichts geändert. Deshalb fordern wir weiterhin: Weg mit §§218/219 aus dem Strafgesetzbuch!
Im September kommen nun zwei wichtige Termine auf uns zu, an denen wir genau diese Forderungen auf die Straße bringen:
21.09.2019: Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung – in Berlin werden wir uns den christlichen Fundamentalist*innen entgegen stellen, die zum „Marsch für das Leben“ zusammenkommen und ein komplettes Abtreibungsverbot fordern. Alle Informationen gibt es hier beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung oder bei Facebook.
28.09.2019: International Safe Abortion Day – Bundesweit sind Aktionen zum Internationalen Tag zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geplant. Gießen, Aachen, Hamburg, Münster, und und und… es sind schon so viele Städte dabei! Informiert euch, wo und was in eurer Stadt geplant ist! Und/ Oder werdet selbst aktiv! Alle Informationen gibt es hier beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung oder bei der bundesweiten Facebook-Veranstaltung.
Wir hoffen, an beiden Tagen zahlreiche Menschen zu sehen! Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen! Für die Selbstbestimmung aller Menschen! Für eine enttabuisierte und autonome Familienplanung! #wegmit218#wegmit219a
Am 14.06.2019 wurden die beiden Gynäkologinnen Verena Weyer und Bettina Gaber zu 4000€ Geldstrafe verurteilt. Dafür, dass sie auf ihrer Website darüber informieren, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Das sind die Konsequenzen und die große ‚Rechtssicherheit‘, die der von der GroKo beschlossene ‚Kompromiss‘ mit sich führt: Ärzt*innen dürfen weiterhin nicht ihre Arbeit vollziehen und aufklären.
Folgend kann unser Redebeitrag bei der Kundgebung am Freitag zum Prozess nachgelesen werden:
Im Studium der Humanmedizin sollen Studierende dazu ausgebildet werden, welche rechtlichen, ethischen
und medizinischen Aspekte in Bezug auf das Thema Schwangerschaftsabbruch wichtig sind. Das wird so in
den Gegenstandskatalogen unserer Abschlussprüfungen gefordert.
Wir als AG haben es uns zum Ziel gemacht, dafür zur sorgen, dass diese Inhalte nicht nur auf dem Papier
stehen, sondern an unserer Uni auch gelehrt werden.
Einen ersten Teilerfolg konnten wir bereits erzielen: Seit diesem Semester gibt es an der Charité zwei
Veranstaltungen, die sich ausschließlich dem Thema Schwangerschaftsabbruch widmen. Zu unserer
großen Enttäuschung werden hier jedoch ausschließlich gesellschaftspolitische, ethische und
psychologische Implikationen diskutiert.
Die ebenso wichtigen medizinischen Aspekte zu Methoden des Abbruchs und was es zu beachten gilt,
werden weiterhin nicht behandelt.
Nun kann man sich natürlich – unabhängig von Prüfungsinhalten – fragen, warum man dieses Thema im
Medizinstudium behandeln muss. Darauf haben wir folgende Antwort.
Sex gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen und hat wesentlichen Einfluss auf das menschliche
Wohlbefinden und damit seine Gesundheit. Das Thema gehört damit dringend in das humanmedizinische
Curriculum. Und hiermit meine ich nicht, sich thematisch auf die Anatomie von Reproduktionsorganen und
sexuell übertragbare Krankheiten zu beschränken und in der Folge nur noch Schwangerschaft und Geburt
zu behandeln. Hierzu gehören unter anderen auch die Themen Lust und ihre Anatomie, Verhütung über die
Pille hinaus und leider auch das Thema ungeplante bzw. ungewollte Schwangerschaften. All das sind
Aspekte, die zum Alltag von Menschen und damit zu ihrer Lebensrealität dazu gehören. Sie sind zu wichtig
und zu eng verwoben mit menschlicher Gesundheit, als dass sie von Politik und Medizin weiter ignoriert
werden dürfen.
Berlin hatte in dieser Beziehung schon einmal Vorbildfunktion – nicht ohne Grund wurde Magnus
Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft ausgerechnet hier gegründet. Auf diese Tradition beruft sich
auch des sexualmedizinische Institut der Charité. Warum also besinnt sich Europas größtes Uniklinikum
dann nicht auch auf seine Vorbildfunktion in dieser Beziehung?
Es ist höchste Zeit die medizinische und politische Ignoranz beim Thema Sex zu überkommen und das deutsche Rechts- und damit auch das deutsche Gesundheitssystem in Bezug auf Frauengesundheit und Sexualmedizin endlich ins 21. Jahrhundert zu befördern.
Es ist Zeit mit veralteten Tabus zu brechen und sich gegen rückwärtsgewandte Rechtsprechung zur wehr zu setzen. Deswegen solidarisieren wir uns mit allen nach § 219a angezeigten Ärzt*innen, die genau das tun.
Wir fordern, dass sie nicht nur öffentlich darüber informieren dürfen, dass sie Abbrüche durchführen, sondern auch darüber welche Methoden sie anbieten! Wir fordern, dass Betroffene, Berater*innen und Ärzt*innen vor radikalen Abtreibungsgegner*innen geschützt werden!
Wir fordern ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch und eine gesetzlich garantierte, flächendeckende Versorgung ungewollt Schwangerer! Damit einhergehend fordern wir bessere Lehre und mehr Forschung an den Universitäten nicht nur zum Thema Schwangerschaftsabbruch, sondern auch zum Thema Sex und allen anderen damit verbundenen Facetten.
Deshalb fordern wir die Streichung der Paragraphen, die dem im Weg stehen:
Weg mit 219a! Weg mit 218!
Die staatliche “Schutzpflicht für das ungeborene Leben” auf dem Prüfstand
von Alicia Baier
Von den Medien weitgehend unbemerkt stellte die AfD im April 2019 eine kleine Anfrage an die Bundesregierung, in der sie sich über das „Rechtsverständnis der Bundesregierung zum Schwangerschaftsabbruch“ erkundigte. Diese Anfrage sowie die Antwort der Regierung von Mai 2019 möchte ich zum Anlass nehmen, die aktuelle strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches (§218 und 219§ StGB) in Deutschland kritisch zu kommentieren. Denn diese Regelung bildet einen idealen Nährboden für Angriffe von rechts. Dass ein medizinischer Eingriff wie der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe steht und nur in Ausnahmesituationen von einer Bestrafung der Schwangeren abgesehen wird, ist keinesfalls selbstverständlich. Viele andere Länder, beispielsweise Kanada und Schweden, regeln Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches. Womit die Bundesregierung das “grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruches” legitimiert, wird in folgender Antwort deutlich.
Frage der AfD: Gehört das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nach Rechtsauffassung der Bundesregierung zum Kernbestand der verfassungsmäßigen Ordnung?
Antwort der Bundesregierung: „Das Bundesverfassungsgericht hat das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs aus der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben abgeleitet (vgl. BVerfGE 88, 203 [255] unter Verweis auf BVerfGE 39, 1 [44]). (…)“
Die Regierung beruft sich hier auf eine angebliche “Schutzpflicht für das ungeborene Leben” und verweist auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes von 1993 und 1975. Diese vermeintliche “Schutzpflicht” ist auf verschiedenen Ebenen fragwürdig.
Zuerst einmal ist der Begriff, der für das schützenswerte Rechtsgut verwendet wird, schwammig: das “ungeborene Leben”. “Leben” ist ein weiter Begriff, der hier für etwas sehr Spezifisches instrumentalisiert wird: den menschlichen Embryo. Nicht einmal Biolog*innen können klar definieren, ab wann Leben beginnt (1). Ist ein Spermium auch schon Leben? Es ist absurd, allgemeingültig für die gesamte Gesellschaft diese Grenze festzulegen und damit den Zugriff des Staates auf den weiblichen Körper zu rechtfertigen.
Ein Blick in die Geschichte offenbart, welche Motivation hinter dieser selbsternannten staatlichen “Schutzpflicht für das ungeborene Leben” meist liegt. In fast allen Monarchien, Diktaturen und kriegsführenden Staaten wurden und werden Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren aus bevölkerungspolitischen Überlegungen beschnitten. So auch 1871, als Kaiser Wilhelm I. den Strafrechtsparagraph 218 nach verlustreichen Kriegen in das Strafrecht des neu gegründeten Deutschen Reiches einführte, um über genügend Soldat*innen und Arbeitskräfte zu verfügen. Wissenschaftliche Erkenntnisse des 18. Jahrhunderts über zellbiologische Vorgänge und die Befruchtung der Ei- durch die Samenzelle führten damals nicht etwa zu der Schlussfolgerung, dass dieses „potentielle Leben“ aus ethischer Sicht schützenswert sei, sondern der Staat leitete hieraus die Berechtigung ab, sich „in ihm einen zukünftigen Bürger zu erhalten“ (2, 3). Auf die Spitze getrieben und rassistisch befeuert wurde diese bevölkerungspolitische Logik im Dritten Reich, als auf Abtreibungen sogar die Todesstrafe stand und selbst Verhütung verboten wurde – solange es sich um Personen handelte, deren Nachwuchs die Nationalsozialist*innen in ihrer zutiefst menschenverachtenden Logik als erwünscht klassifizierten. Wer Beihilfe zu Schwangerschaftsabbrüchen leistete und damit in den Augen der Nationalsozialist*innen “die Lebenskraft des deutschen Volkes” beeinträchtigte, erhielt ebenfalls die Todesstrafe (4). Aus dieser Zeit stammt auch der Paragraph 219a, der sogar Informationen zum Schwangerschaftsabbruch durch Ärzt*innen kriminalisiert und Anfang 2019 trotz überzeugender Gegenargumente im Wesentlichen beibehalten wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde zwar die Todesstrafe auf Abtreibung aufgehoben, bevölkerungs- und sicherheitspolitische Interessen verhinderten aber weiterhin eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetze. Kinderreiche Familien als stabilisierende kleinste Einheit des Staates wurden insbesondere angesichts der Bedrohungen durch den sogenannten „Kalten Krieg“ gefördert (2, 5). Während zu Zeiten der Monarchie unter Wilhelm I. und der Diktatur unter Hitler noch unbefangen kommuniziert wurde, welche bevölkerungspolitische Motivation hinter dem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen liegt, wurde es bei zunehmender Demokratisierung unserer Gesellschaft schwieriger, mit solchen Argumenten die Entmündigung von Frauen und Menschen mit Uterus (MmU) zu rechtfertigen. Im Zuge tiefgreifender politischer Debatten, die um die Verfassungsgerichtsentscheidungen von 1975 und 1993 geführt wurden, änderte sich fortan die Argumentationsstruktur: Die Regierung bezog sich nun auf Artikel 1 (Menschenwürde) und Artikel 2 (Recht auf Leben) des Grundgesetzes und schlussfolgerte hieraus ein grundsätzliches Verbot des Schwangerschaftsabbruches. Im aktuellen Parteiprogramm der AfD wird deutlich, dass der bevölkerungspolitische Geist hinter Abtreibungsverboten aber bis heute weiter lebt und wirkt:
“Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.”
Diese Aussage erinnert an Hitlers Propaganda: „Der völkische Staat hat das Kind zum kostbarsten Gut eines Volkes zu erklären.“ (6) Unter dem Punkt “Willkommenskultur für Ungeborene” schreibt die AfD weiter: “Die AfD (…) ist im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung der Meinung, dass der Lebensschutz bereits beim Embryo beginnt.” Die angebliche “Schutzpflicht für das ungeborene Leben”, auf die sich unser Staat beruft, kommt der AfD argumentativ äußerst gelegen. Im Übrigen wissen die wenigsten, dass im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, auf dem unsere heutige Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch beruht, im Rahmen des “verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes” die Rede von einer “grundsätzlichen Pflicht zum Austragen des Kindes” ist (7). Angesichts der aktuellen Bedrohung von rechts sowie unseres Wissens um die historische Motivation hinter Abtreibungsverboten sollten wir vorsichtig sein, wenn heutzutage mit Menschenwürde argumentiert wird, um diese “Austragungspflicht” im Sinne der „Schutzpflicht des Staates“ zu rechtfertigen.
Die “Schutzpflicht des Staates”, ganz gleich, mit welchen Argumenten sie gerechtfertigt wird, ist in Bezug auf das vielbeschworene “ungeborene Leben” aber vor allem eines: nicht umsetzbar. Es ist schlichtweg unmöglich, Frauen und MmU durch staatliche Bevormundung und strenge Gesetze davon abzuhalten, wichtige Entscheidungen über ihr eigenes Leben zu treffen. Die Abbruchsrate ist in den Ländern, die Abtreibungen gar nicht oder nur bei Lebensgefahr der Schwangeren erlauben, nicht niedriger als in Ländern, die Abtreibungen auch in anderen Fällen erlauben (37 vs. 34 pro 1000 Frauen im reproduktiven Alter) (8). Wenn es keinen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt, treiben Frauen unter Einsatz ihres eigenen Lebens ab: Jährlich sterben mindestens 22.800 Frauen durch vermeidbare Komplikationen von unsicher durchgeführten Abbrüchen (9). Unsicher durchgeführte Abbrüche finden vor allem in den Ländern statt, in denen der Staat das “ungeborene Leben” mit besonders restriktiven Gesetzen zu “schützen” versucht (9). Wenn man die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche verringern möchte, muss man sich deren Gründe anschauen: In Deutschland waren dies 2017 vor allem berufliche und finanzielle Notlagen der Schwangeren (10). Bessere Unterstützungsangebote für Alleinerziehende und mehr Kita-Plätze könnten also zum Beispiel die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche senken. Der von der AfD erwünschte bevölkerungspolitische Effekt bleibt durch das staatlich verordnete Abtreibungsverbot ebenfalls vollkommen aus. Deutschland ist beispielsweise eines der Länder mit den restriktivsten Abtreibungsgesetzen in Westeuropa, und hat gleichzeitig eine der niedrigsten Geburtenraten. Das beste Beispiel ist allerdings Polen: Dort sind Schwangerschaftsabbrüche seit 1993 nur bei Lebensgefahr der Schwangeren, nach Vergewaltigung oder bei Missbildungen des Embryos erlaubt. Trotz dieser massiven gesetzlichen Beschränkung sank die Geburtenrate zwischen 1993 und 2017 von 1,87 auf 1,39 Kinder pro Frau und wurde 2017 im europäischen Vergleich nur von Italien, Spanien und Zypern unterboten (11). Schweden und Frankreich hingegen gehen mit Schwangerschaftsabbrüchen deutlich liberaler um und unterstützen ungewollt Schwangere auf vielfältige Weise darin, die für sie richtige Wahl zu treffen. Es sind die beiden europäischen Länder mit den höchsten Geburtenraten mit 1,9 Kindern pro Frau (11). Es gibt aber tatsächlich einen historischen Fall, in dem das Abtreibungsverbot zu einer Zunahme der Geburten führte: Das soziale Experiment “Dekret 770” unter dem rumänischen Diktator Ceaușescu, welcher gebärfähige Menschen mit Zwangsuntersuchungen systematisch überwachen ließ, um Schwangerschaften möglichst früh zu detektieren. Damit machte er illegale Abtreibungen unmöglich. Die Folge war eine enorme Zunahme an Heim- und Straßenkindern, was den Staat vor große soziale und ökonomische Probleme stellte. Dies illustriert einmal mehr: Die betroffenen Frauen und MmU sind die einzigen, die eine auf ihre individuelle Situation abgestimmte, verantwortungsvolle Entscheidung treffen können.
In einer zweiten Frage der AfD und der Antwort der Regierung wird dann auch klar, auf wessen Kosten die Durchsetzung von “Schutzpflicht” und “Austragungspflicht” immer gehen wird:
Frage: Gibt es nach Rechtsauffassung der Bundesregierung ein Recht auf Abtreibung oder kann es ein solches geben?
Antwort: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greifen Grundrechte der Frau gegenüber dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht durch. (…)“
Deutlicher hätte es die Bundesregierung im Jahr 2019 nicht formulieren können: Wir berauben Frauen und MmU ihrer Grundrechte, sobald sie schwanger sind. Wir behandeln sie wie Embryonen-Container und sprechen ihnen die Kompetenz ab, über ihren Körper, ihre Fruchtbarkeit und ihre Sexualität verantwortungsvoll zu entscheiden. Gleichzeitig erwarten wir von Frauen weiterhin, die Erziehungsarbeit geborener Kinder kostenlos und mit ungenügender staatlicher Unterstützung zu übernehmen. Seit 1871 leben wir mit dieser Doppelmoral: Der Staat bemüht sich mit großem Aufwand um das “ungeborene Leben”, überlässt die Sorge um das geborene Leben aber weitgehend den Frauen.
Die angebliche “Schutzpflicht” des Staates für das “ungeborene Leben” ist nicht realisierbar. Sie ist das Relikt einer zweifelhaften historischen Tradition, in der der Machtanspruch des Staates schwerer wiegt als das Selbstbestimmungsrecht seiner Bürger*innen. Es stellt sich die Frage, warum der Staat immer noch an dieser nicht umsetzbaren Illusion festhält. Am Ende geht es, wie so oft, um Macht. Und darum, wie sie verteilt ist und wer sie ausübt. Wer entscheidet über solch intime Bereiche wie unsere Fruchtbarkeit und Sexualität? Wie viele Rechte wollen wir als Gesellschaft den Frauen übertragen? Es gibt einige in diesem Land, die Angst haben. Sie haben Angst davor, Privilegien, Kontrolle und Macht abzugeben, und sehen das patriarchale System in Gefahr, von dem sie profitieren. In Alabama stimmten gerade 25 weiße Männer für eine Gesetzesverschärfung, die Schwangerschaftsabbrüche selbst nach Vergewaltigung und bei Inzest bestraft. Die still und unbemerkt abgelaufene kleine Anfrage der AfD an die Bundesregierung sollte uns ein Anlass sein, aufzuhorchen und uns frühzeitig gegen solche Entwicklungen zu organisieren.
Ich möchte ganz herzlich Dr. Christian Fiala für den inhaltlichen Input danken.
Quellen:
Waltraut Schwab: Es gibt kein ungeborenes Leben, taz 02/2019. Abgerufen 05/2019 hier:http://www.taz.de/!5568971/
Christian de Nuys-Henkelmann: „Wenn die rote Sonne abends im Meer versinkt …“, Die Sexualmoral der fünfziger Jahre, in: Anja Bagel- Bohlan/Michael Salewski (Hrsg.), Sexualmoral und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Opladen 1990, S. 107ff.
‚Pro-Life Nebraska‘ engagiert sich für Lebensschutz mit einem etwas anderen Motto: „Save a life. Kill your boner.“ Sie wollen die Anzahl von Abtreibungen minimieren, indem sie unverantwortliche Ejakulation verhindern wollen. Dafür haben sie ein hilfreiches Handout erstellt:
Klingt absurd? So absurd ist unsere aktuelle Gesetzeslage aber gerade. Mit der Begründung ‚Leben schützen zu wollen‘, legitimiert die Politik aktuell, über den Körper von Frauen und Menschen mit Uterus bestimmen zu dürfen.
Jede Person hat das Recht selbstbestimmt über den eigenen Körper und damit die eigenen Reproduktionsorgane zu entscheiden. Niemand will vorgeschrieben bekommen, ob man ejakulieren darf. Genauso wenig wollen Schwangere nicht, dass über deren Uterus bestimmt wird. Und wenn dies doch getan wird, werden diese Personen andere Wege finden, Abbrüche durchzuführen. Restriktive Gesetze werden also keine Abtreibungen verhindern, sondern stattdessen zu mehr unsicheren Abbrüchen führen und damit das Leben der Betroffenen in Gefahr setzen. Das soll ‚Lebensschutz‘ sein?!
Das Thema Schwangerschaftsabbruch betrifft uns alle, unabhängig von Biologie. Statt uns zu bekämpfen, sollten wir zusammenarbeiten. Wer die Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen minimieren will, kann an sehr vielen verschiedenen Stellen ansetzen: investiert in Sexualaufklärung, erleichtert den Zugang zu Verhütungsmitteln, v.a. zu Langzeitmethoden, minimiert Zugangsbarrieren und schafft mehr Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, unterstützt Familien mit geringem Einkommen uvm. Macht all das und viel mehr, doch bitte hört auf den Schwangerschaftsabbruch zu kriminalisieren.
Es ist wirklich unvorstellbar was aktuell in den USA geschieht: In Alabama sind nun Schwangerschaftsabbrüche in fast allen Fällen illegal, auch nach Vergewaltigungen. Ärzt*innen, die einen Abbruch durchführen können eine Haftstrafe bis zu 99 Jahren erhalten. Im Vegleich dazu: für Inzest liegt die Höchststrafe bei 10 und für Vergewaltigung bei 20 Jahren. In Georgia, Ohio, Kentucky und Mississippi sind Abbrüche ab der Registrierung eines „fetalen Herzschlages“ (ca. Woche 6) verboten – ein Zeitpunkt, zu dem die meisten noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. In Ohio dürfen auch Eileiterschwangerschaften – eigentlich ein lebensgefährlicher Zustand für die Schwangeren – nicht abgebrochen und sollen stattdessen in die Gebärmutter ‚zurückverpflanzt‘ werden: einen Eingriff, den es in der Medizin gar nicht gibt. Das sind jedoch nur einige Beispiele.
Die traurige Wahrheit ist, dass Fundamentalist*innen/ Anti-Choice-Personen/ Anti-Feminist*innen gerade Hand in Hand arbeiten, um Rechte von Frauen und Menschen mit Uterus , Rechte auf körperliche, reproduktive Selbstbestimmung sowie körperliche Unversehrtheit und politische Mitbestimmung einzuschränken.
Menschen zu zwingen, die Schwangerschaft auszutragen ist menschenverachtend. Menschen mit Uterus sind keine Gebärmaschinen. Sie haben das Recht darüber zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht. Und dieses Recht werden sie einfordern, ob es legal ist oder nicht. Verbote werden also nicht dazu führen, dass weniger Abbrüche durchgeführt werden, sondern nur dass diese unsicherer werden und setzen damit das Leben der Schwangeren in Gefahr (Guttmacher Institut).
Die Washington Post gibt eine Übersicht über die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch in den unterschiedlichen US-Staaten und wann welche Veränderungen vorgenommen wurden. Da wird deutlich, dass in den letzten Jahren, aber v.a. in 2019, die Gesetzeslage in der Mehrheit der Staaten immer extremer und restriktiver geworden ist. Wer also glaubt, dass einmal erreichte Errungenschaften nicht mehr verloren gehen können, hat sich getäuscht.
Das Problem ist, dass solche Gesetze oft von Menschen beschlossen werden, die nicht wissen, was es bedeutet, schwanger zu sein. Auch im Senat in Alabama gibt es genau 4 Frauen, welche damit deutlich unterrepräsentiert sind. Die 25 Ja-Stimmen stammen – wer hätte es gedacht – von weißen Männern. Es kann nicht sein, dass diese über das Schicksal und den Körper einer Frau/ Mensch mit Uterus entscheiden!
Denn es zeigt sich immer wieder, dass diese Politiker*innen nichts über die weibliche Anatomie wissen, nicht verstehen wie der Körper funktioniert und sich meist noch nie näher mit dem Thema ‚Schwangerschaftsabbruch‘ auseinander gesetzt haben. Paradebeispiel ist das Interview mit Jim Buchy von 2012. Jim Buchy ist Republikaner und großer Abbruchs-Gegner. In Ohio arbeitet er engagiert daran, die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch restriktiver zu gestalten. Über die Frage, warum Frauen einen Abbruch durchführen, hat er sich aber noch nie Gedanken darüber gemacht:
Die aktuellen Entwicklungen lassen einen nur den Kopf schütteln. In was für eine Richtung entwickelt sich unsere Welt? Wie kann es sein, dass Menschen mit Uterus auch noch im Jahr 2019 darum bangen muss, selbstbestimmt über den eigenen Körper entscheiden zu dürfen?
Deswegen brauchen wir – heute mehr denn je – jeden Einzelnen von euch! Organisiert euch und seid laut! Geht auf die Straßen und demonstriert mit uns! Informiert euch und euren Umkreis! Ihr habt einen Schwangerschaftsabbruch gehabt? Erzählt es euren Mitmenschen! Helft uns, das Stigma zu durchbrechen!
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Versorgungslage in Deutschland?
Bitte verbreiten Sie folgendes Fortbildungsangebot von Berliner Gynäkologinnen weiter, insbesondere an Hausärzt*innen. Danke. Ihre MSFC.
„In den letzten 15 Jahren ist in Deutschland die Zahl der Einrichtungen, die einen der jährlich rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche anbieten von etwa 2000 auf etwa 1200 zurückgegangen. Besonders im ländlichen Bereich bedeutet dieser Rückgang, dass betroffene Frauen häufig lange Wege zurücklegen müssen und die Versorgungslage immer problematischer wird. Seit 1999 ist neben der operativen Methode der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch (mSAB) mit den Medikamenten Mifepriston und einem Prostaglandin zugelassen. Seitdem steigt der Anteil dieser Methode nur langsam und mit grossen regionalen Unterschieden an und liegt aktuell mit ca. 20% weit unter dem europäischen Durchschnitt, wo die Methode in bis zu 80% der Fälle angewendet wird. In Deutschland wird der mSAB bisher fast ausschließlich von Gynäkolog*innen durchgeführt, während in anderen europäischen Ländern der Zugang häufig über die hausärztlichen Praxen erfolgt.
In diesem Workshop wollen wir mit interessierten Allgemeinmediziner*innen die Möglichkeiten ausloten, inwieweit ein Einbeziehen der hausärztlichen Praxen die Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern könnte und die praktischen Grundlagen des mSAB vermitteln. Es werden praxisnah sowohl die medizinischen Aspekte der Durchführung eines mSAB (Medikamente, Feststellung des Schwangerschaftsalter, Kontraindikationen, mögliche Komplikationen etc.) als auch rechtliche und organisatorische Fragen behandelt.
Ort und Zeitpunkt: Profamilia Berlin, Kalckreuthstrasse 4, 10777 Berlin Freitag, 13.9.19 14:30-18:30
Referentinnen: Dr.med. Jana Maeffert, Dr. med. Blanka Kothé Fachärztinnen für Gynäkologie und Geburtshilfe
Kosten: Fachärzt*innen: 50 Euro Ärzt*innen in Weiterbildung/Teilzeit: 30 Euro Studierende: 20 Euro
Es werden Fortbildungspunkte bei der Ärztekammer Berlin beantragt
Nach der Verkündigung des ‚Kompromisses‘ zu §219a kündigten Grüne, Linke und FDP an, eine Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht zu planen. Es sollte geprüft werden, ob die Novelle des Paragraphen tatsächlich grundgesetzkonform sei. Zur Einreichung werden 25 Prozent der Abgeordneten des Bundestags benötigt, die nur mit der Unterstützung aller 3 Parteien erreicht werden kann. Die FDP rudert nun zurück. Stephan Thomae, stellvertretende Vorsitzende der FDP, erklärt, er schätze die Erfolgschancen nicht groß genug ein und rät von der Klage ab. Dabei lässt er außer Acht, dass es in nicht unerheblichem Maße auch um das politische Signal geht, das mit einer solchen Klage gesendet würde. Grünen und Linke, sowie alle, die für die körperliche Selbstbestimmung kämpfen, sind enttäuscht! Zu recht kommentieren die Grünen: „Wenn es der FDP wirklich um Rechtssicherheit für Medizinerinnen und Medizinern und um die Informationsfreiheit für Frauen geht, sollte sie nochmal eingehend prüfen, ob das ihr letztes Wort ist.“
Wenn ihr genauso enttäuscht von der FDP seid wie wir, sendet diesen Brief per Email an stephan.thomae@bundestag.de. Oder ihr wählt den Briefweg und sendet ihn an Stephan Thomaes Bundestags-Adresse:
Platz der Republik 1 11011 Berlin Deutschland
Das Muster hat freundlicherweise Christiane von Rauch, Allgemeinärztin aus Frankfurt am Main, verfasst. Gemeinsam sind wir stark!! Danke für eure solidarische Hilfe.
Sehr geehrter Herr Thomae, Sehr geehrte Fraktionsmitglieder der FDP im Deutschen Bundestag,
mit Erstaunen und Sorge, nein mit Empörung habe ich davon Kenntnis erhalten, daß Ihre Fraktion sich von ihrer bisherigen Entscheidung entfernt, gemeinsam mit den Fraktionen der Grünen und Linken ein Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgericht zur nunmehr erfolgten Gesetzesänderung des § 219a zu beantragen (siehe: taz.die tageszeitung vom 04.05.2019 https://www.taz.de/!5589337 FDP rückt von Klage gegen Paragraf 219a ab).
Herr Thomae, Sie persönlich hatten ja in der entscheidenden Bundestagsdebatte diesen Vorschlag gemacht! Selbst wenn Sie Zweifel am Erfolg eines solchen Verfahrens haben, ist es meiner Meinung nach ein fatales politisches Signal, wenn Sie sich aus der Thematik in dieser Form zurückziehen. Die FDP hat sich gerade im Gesetzgebungsverfahren zum §219a sehr deutlich und vehement für die Streichung des § 219a aus dem StGB ausgesprochen und damit die Rechte der Schwangeren und der Ärzt*innen auf ungehinderten Zugang zur Information zum Schwangerschaftsabbruch gestärkt. Nicole Bauer zum Beispiel äußerte sich in einer klaren und engagierten Rede zum §219a.
Der §219a auch in der jetzt erfolgten Kompromisslösung ist untragbar, er bringt keine durchgreifende Besserung! Er gehört endgültig aus dem StgB entfernt. Die meisten juristischen Sachverständigen halten, wie Ihnen bekannt sein dürfte, den § 219a für nicht verfassungskonform. Auch und gerade im Hinblick auf den europa-, ja, weltweiten Vormarsch der rechten und christlichen Fundamentalisten mit dem Ziel der Aushöhlung und Rücknahme der Menschenrechte auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, auf reproduktive Selbstbestimmung, also auch auf Abtreibung, Ehe für alle etc. ist es geradezu eine Pflicht für liberale Demokrat*innen hier Flagge zu zeigen.
Bitte seien Sie sich Ihrer Verantwortung zum Thema Schwangerschaftsabbruch, Selbstbestimmungsrechte und Menschenrechte bewußt und bringen Sie mit den anderen beiden Fraktionen (und sicherlich auch vielen MdBs der SPD Fraktion) die Normenkontrollkontrolle auf den Weg.
Betroffene Menschen und Ärzt*innen rechnen auf Sie! Die angeklagten Ärzt*innen benötigen weiter Ihre Unterstützung! Weichen Sie nicht zurück! Menschen mit Uterus und Ärzt*innen werden es Ihnen danken!
Vor Kurzem hat uns nachfolgende E-Mail eines unserer künftigen Kollegen erreicht. Da darin Vorwürfe formuliert werden, denen wir öfter Paroli bieten müssen, möchten wir sowohl die Nachricht als auch unsere Antwort darauf hier veröffentlichen.
Wir hoffen, damit auch anderen Menschen – die uns hoffentlich freundlicher gesinnt sind – mögliche Fragen beantworten zu können.
Eure Medical Students for Choice
Sehr geehrter Herr ,
Da Sie die „unwichtige Marginalie“ immerhin für so wichtig empfunden haben, sie niederzuschreiben, möchten wir gerne darauf eingehen.
Wie Sie vermutlich wissen, ist die Bezeichnung „Studierende“ ein Kompromiss, der eine der vielen Unzulänglichkeiten der deutschen Sprache umgehen soll. Um unnötige Konstruktionen mit Unterstrich, Binnen-I oder Gendersternchen zu vermeiden, erscheint es uns als eleganter – sofern möglich – auf Konstruktionen wie die obige zurückzugreifen. Dass Sprache unser Denken beeinflusst, ist mittlerweile zweifellos wissenschaftlich nachgewiesen, sodass diese Erkenntnisse glücklicherweise auch Eingang in unsere gesellschaftlichen Umgangsformen finden. Abgesehen davon zeugt es von Respekt, wenn man alle Angesprochenen auch tatsächlich anspricht und nicht nur „mitmeint“, wie Sie das mit Ihrer Formulierung tun.
Viele Ihrer Fragen haben wir bereits mehrfach auf unserer Homepage bzw. in Interviews (die meisten davon sind ebenfalls ebendort verlinkt) beantwortet. Nichtsdestotrotz möchten wir sie Ihnen gerne nochmals persönlich beantworten.
Der Gegenstandskatalog der Staatsexamina für Humanmedizin in Deutschland sieht vor, dass wir neben den rechtlichen und ethischen auch die medizinischen Aspekte zum Thema Schwangerschaftsabbruch beherrschen. Da letztere aber in unserem Curriculum an der Charité bisher nicht behandelt wurden, fordern wir ein, worauf wir ein Recht haben: dass unsere Universität uns auch das lehrt, was wir für diese Prüfungen können müssen.
Unsere Forderungen beziehen sich auf die theoretische Behandlung dieser praktischen Aspekte (medikamentöser Abbruch und operativer Abbruch + jeweilige Vor- und Nachteile), die im Übrigen an vielen Universitäten nicht stattfindet, wie aus den Recherchen von Miriam Lenz hervorgeht.
So wie wir eben auch die Schritte einer Appendektomie, einer Hemikolektomie, einer Cholezystektomie etc. pp. (allesamt im Gegenstandskatalog der Charité verankert) erlernen.
Die Papaya als Modell bzw. der Papayaworkshop als Lehrkonzept ist international anerkannt und beider Berechtigung bereits mehrfach durch Studien belegt. Es wäre daher vermessen, zu behaupten, wir wüssten es besser und könnten mit besseren Modellen oder Lehrkonzepten aufkommen, weswegen sich die Adaption genau dieses Lehrformats nicht nur anbietet, sondern durchaus geboten ist. Es sei hier nur eine Randbemerkung, dass sich die Charité es hätte einfach machen und den Workshop einfach ins Curriculum hätte integrieren können. Schließlich wird er bspw. an der University of California und an mehreren anderen Med Schools weltweit bereits von den Universitäten selbst angeboten, womit die jeweiligen Länder völkerrechtlichen Forderungen bspw. der UN (und hier auch relevant des Europarats) nachkommen.
Im Workshop wird selbstverständlich neben den Methoden auch auf die jeweiligen Komplikationen eingegangen. Wir möchten Sie aber auch darauf hinweisen, dass Schwangerschaftsabbrüche zu den sichersten und komplikationsärmsten Eingriffen überhaupt zählen, sofern sie von medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden.
Wir haben dabei nie behauptet, dass man nach dem Besuch unsere Workshops einen Abbruch durchführen kann. Genauso wenig behauptet ja auch unsere Universität, dass wir nach einmaligen Praktika zu Nahtversorgung, Blasen- oder zentralvenösen Katheter etc. all diese Eingriffe beherrschen. Jedoch hat man nach unserem Workshops sowohl die theoretischen Inhalte gehört, die unsere Universität bislang verpasst hat uns zu lehren, als auch einen Eindruck davon bekommen, wie der Eingriff praktisch abläuft. Es sei außerdem angemerkt, dass der Papayaworkshop maßgeblich von 3–4 Gynäkologinnen mitgestaltet wird, die zusammen um die 100 Jahre Berufserfahrung haben. Insofern wird die Veranstaltung von ausreichend Expertise begleitet.
Ihre Unterstellung, wir sowie die uns unterstützenden Gynäkolog*innen seien frauenverachtend, sehen wir Ihnen also aufgrund Ihrer Unwissenheit nach.
Frauenverachtend ist es hingegen, zu behaupten, dass das Thema in der Basisausbildung/ im Medizinstudium irrelevant sei, wenn es in Deutschland etwa 30% (unbeabsichtigte Schwangerschaften) bzw. knapp 17% (ungewollte Schwangerschaften) der Frauen betrifft (siehe hierzu entsprechende Studien der BzgA).
À propos ist es in Deutschland – auch aufgrund der misogynen Gesetzeslage – keinesfalls so, dass Schwangerschaftsabbrüche von Gynäkolog*innen beherrscht werden müssen (vgl. hierzu entsprechende Ausbildungskataloge). Insofern ist Ihre Bemerkung, dass dieser Eingriff alleinig in diese Fachdisziplin gehört, nicht nur hinfällig, sondern schlichtweg falsch, weil die Versorgung – egal durch welche Disziplin – in Deutschland nicht gesichert ist.
Im Gegensatz zu vielen Gynäkolog*innen hat Frau Hänel nicht nur jahrelang in der Schwangerschaftskonfliktberatung gearbeitet, sondern sich auch die Mühe gemacht, den Schwangerschaftsabbruch in den Niederlanden zu erlernen. Und offensichtlich führt sie ihn nun schon seit Jahrzehnten sicher und zuverlässig durch und versorgt damit als einzige (!) ungewollt Schwangere im Großraum Gießen (es sei hier angemerkt, dass noch nicht einmal das Uniklinikum Gießen/ Marburg Abbrüche anbietet).
Unter Umständen ist es Ihnen als Psychiater nicht geläufig, dass in den operativen Fächern gilt „wer kann, der*die darf“. Wenn Sie sich also an Frau Hänels Facharzt für Allgemeinmedizin stoßen, dann ist das – mit Verlaub – Ihr Problem. Denn wer die OP-Zulassung hat, der*die darf auch operieren.
Darüber hinaus wird der Eingriff in anderen Ländern ebenfalls von anderen Fachärzt*innen (eben bspw. aus der Allgemeinmedizin) oder in Skandinavien auch von Hebammen/ Entbindungspfleger*innen durchgeführt.
Um auch auf die letzte „marginale“, aber wohl doch ausreichend wichtige Bemerkung einzugehen: Der Name unserer Gruppe stammt von der amerikanischen Mutterorganisation (Link hierzu ebenfalls zu finden auf unserer Homepage). Im angloamerikanischen Raum bezeichnet „pro choice“ oder „for choice“ die Ansicht, dass Schwangeren grundsätzlich selbst die Entscheidung überlassen werden sollte, ob sie eine (ungewollte) Schwangerschaft austragen oder nicht. Und wir sind davon überzeugt, dass alle Menschen, ob mit oder ohne Uterus, selbst darüber entscheiden können, was sie ihrem Körper zumuten wollen oder nicht.
Ich hoffe, die Unklarheiten damit ausreichend beseitigt zu haben.