Wie viele andere beobachten wir mit Entsetzen die Entwicklungen in den USA, das Aushebeln der Grundrechte von Bürger*innen und Demonstrierenden, die Polizeigewalt und -brutalität, die Selbstinszenierung eines faschistischen Präsidenten und den offenkundigen Rassismus. Wir beobachten auch mit Entsetzen das Schweigen der deutschen Politiker*innen und deren der EU.
Das Wichtigste sei vorangestellt: Bitte achtet aufeinander. Teilt keine Videos von (schwarzen) Menschen, die auf offener Straße vor laufender Kamera ermordet werden, ohne Disclaimer, egal, wie sehr sie euch schockieren. Denkt daran, was es mit BPoC* macht, dies in ihrer Timeline sehen zu müssen. Denkt daran, dass wir solche Vorgänge nie und nimmer normalisieren dürfen.
Justice for George Floyd. Justice for Breonna Taylor. Justice for Tony McDade. Justice for David McAtee. Justice for James Scurlock. Justice for all the Unnamed. Die Liste könnten wir unendlich weiterführen. Klar ist: Not one more.
In einem viel geteilten Video der brillanten Toni Morrison antwortet sie auf die Frage, wie sie auf Rassismus reagiert: „Let me tell you, that’s the wrong question […] If you’re only tall when other people are smaller, you have a problem. And my feeling is that white people have a very, very serious problem. And they should start thinking about what they can do about it. Take me out of it.“
Der strukturelle Rassismus ist ein Problem der mehrheitlich weißen Bevölkerung. In den USA kann man sehen, was passiert, wenn das institutionell geleugnet wird, wenn rechtes Gedankengut gleich mit den Ämtern weitergereicht wird. Wenn sich eine politische Mitte entwickelt, der es zu bequem ist, die tief verwurzelt rassistischen (und sexistischen) eigenen Institutionen zu reformieren, weil das als explosives, „linkes“ Nischenthema eingestuft wird. Trumps Wahl in das Weiße Haus hat seine aktuellen Angriffe auf die Demokratie und seinen Einsatz des amerikanischen Militärs ohne jegliche rechtliche Grundlage ermöglicht. Aber erfunden hat er den Rassismus nicht. Und auch wir sind nicht frei davon.
Ein Grund, weshalb es eine gewisse Menge an Leuten in den USA gibt, bei denen gerade nicht alle Alarmglocken schellen, ist ein weiteres Symptom des Rassismus: autoritäre Diktaturen werden eigentlich nur mit Nationen aus dem Süden oder dem Osten assoziiert. Ja, auch in Europa. Eine wählende Mehrheit in den USA hat die eigene Demokratie für unangreifbar gehalten, weil wir als weiße Bevölkerung kollektiv vergessen haben, einen hetzenden, rassistischen, weißen Mann zu fürchten und weil man ihn in der Hoffnung, ihn „im Zaum halten zu können“, in ein Amt gesetzt hat, für das er nie geeignet war. Wenn man sich auch nur wenig mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat, sollte einem da einiges bekannt vorkommen.
White Supremacy (auf deutsch “weiße Vorherrschaft” oder “Überlegenheit der Weißen”) hat es aber schon immer gegeben. Es durchzieht unsere Institutionen, unsere Bildung, unsere Forschung, unsere Wirtschaft, unsere Gerichte, unsere Politik, unsere Medien, unser Denken. Die Omnipräsenz macht es am schwierigsten, es an allen Ecken anzusprechen, aber auch umso wichtiger.
Manchmal sieht diese weiße Vorherrschaft harmlos, klug oder süß aus. (Disney, HBO, uvm. Wie viele heiß geliebten Fernsehserien sind beim zweiten Blick problematisch? Wie selbstverständlich werden unzählige Filmheld*innen weiß und männlich besetzt, liebenswürdige romantische Protagonist*innen weiß und weiblich?) Wir müssen sie erkennen, egal wie sie sich zeigt. Und als Mediziner*innen müssen wir uns vor allem darüber bewusst werden, wie sie implizit (und explizit!) unsere Lehre und unsere Praxis informiert und beeinflusst.
Wir müssen umgehend die Konsequenzen für unsere eigene Politik, unsere Medienwelt, unser Miteinander und unsere Gedanken ziehen! Es geht hier nicht darum, an allen Ecken die Zerstörung von Eigentum zu zeigen, oder Bilder einiger weniger friedlich kniender Polizist*innen zu verbreiten (das Bild eines knienden Polizisten war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – dieser Publicity Stunt rührt nicht einmal ansatzweise an der Grundlage der Frustration und Wut der Demonstrierenden, die Verbreitung dieser Bilder also auch nicht).
Was in den USA passiert, ist ein rassistisch motivierter Machtmissbrauch auf der obersten Ebene, wie er auf niedrigerer Ebene seit Jahrhunderten ohne Konsequenzen vonstatten ging. Das muss nicht immer gewaltsam sein. Und es darf uns nicht nur in den Fällen schockieren, in denen es in Gewalt kulminiert. Und wir müssen vor allem hinschauen, wo es unsere eigene Umgebung und uns selbst betrifft und einschließt. Wir müssen uns ganz konkret als weiße Mehrheitsgesellschaft mit diesen Themen auseinandersetzen, nicht, um uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, sondern um das Problem an der Wurzel zu packen.
Wir fangen damit an, indem wir fordern, dass sich die deutsche Regierung zu der Menschenrechtsverletzung in den USA äußert und die eigenen Fehltritte in Sachen Antirassismus reflektiert.
Wir fangen damit an, indem wir unsere eigenen Privilegien wahrnehmen und reflektieren, indem wir uns für mehr Gerechtigkeit einsetzen. Das tun wir in Zeiten wie diesen, wo alle darüber sprechen, aber auch dann, wenn es nicht mehr “populär” ist. Wir lassen rassistische Äußerungen von Bekannten, Verwandten, Kolleg*innen, Freund*innen, Nachbar*innen etc. nicht mehr einfach stehen, sondern konfrontieren diese.
Wir fangen damit an, indem wir uns über die Geschichte des Rassismus informieren, aktiv den Stimmen von BPOC aller Geschlechter zuhören und eigenständig aus den massenhaft verfügbaren Schriften und Reden zu Antirassismus lernen.
Feminismus muss und soll intersektional und antirassistisch sein! Anders geht es nicht.
#BlackLivesMatter #BlackTransLivesMatter #JusticeforGeorgeFloyd #Notonemore
*Wir betonen bewusst das Black in Black People and People of Colour, weil die Gewalt, die die Demonstrationen losgetreten hat, in überwältigendem Maße spezifisch anti-Schwarz ist. Das soll nicht die Tatsache leugnen, dass alle nicht-weißen Personengruppen Opfer rassistischer Gewalt werden können, sondern diesen besonders hässlichen Aspekt der Situation herausstellen.
Was könnt ihr nun ganz konkret tun?
Bitte zieht in Betracht, der Organisation BlackLivesMatter oder einer vergleichbaren zu spenden, wenn ihr in der Lage seid. Informiert euch über einfache Schlagzeilen hinaus. Informiert euch über die Geschichte des Rassismus in Deutschland und Europa, im Feminismus, in der Medizin. Und sprecht mit euren Freund*innen, eurer Familie und Bekannten.
Belästigt bitte keine BPoC in sozialen Netzwerken oder in Person mit der Frage, was ihr als Weiße jetzt tun sollt. Es ist nicht ihre Aufgabe, euch aufzuklären, es ist nicht ihre Aufgabe, eure emotionale Arbeit zu schultern. Viel zu häufig werden sie dazu aufgefordert oder sind bereits dazu aufgefordert worden. Viel zu lange haben wir es ihnen überlassen, die Probleme selbst zu beheben. Aber wie sollen sie Probleme beheben, von denen sie selbst nur unterdrückt, kleingehalten und zum Schweigen gebracht werden sollen und deren tatsächliche Natur es ist, ihre Glaubwürdigkeit zu unterminieren? Wenn möglich, helft wo ihr könnt und bleibt empathisch!
Aktuell gibt es online viele Listen, Aufzählungen und Materialien, die euch zeigen, wo ihr anfangen könnt. Die Organisation BlackLivesMatter hat beispielsweise auf ihrer Webseite oder diesem Google Doc mit Infos und Quellen für Allies (Verbündete) zusammengestellt, inklusive Petitionen, Gofundme-Kampagnen und Bücherlisten. Schaut bitte dort vorbei.
Ansonsten wollen wir auch ein paar konkrete Ideen hier ausführen. Bitte seid euch im Klaren, dass diese Listen jedoch noch lange nicht vollständig und ausreichend sind. Es soll nur einen Anfang darstellen.
Ihr könnt folgende Petitionen unterschreiben:
Folgende Bücher, Filme oder Serien legen wir euch ans Herz:
- Exit Racism von Tupoka Ogette (Buch, Hörbuch aktuell auch auf Spotify)
- Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten von Alice Hasters (Buch)
- Deutschland Schwarz Weiß. Der Alltägliche Rassismus von Noah Snow (Buch)
- Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche von Reni Eddo-Lodge (Buch)
- Sprache und Sein von Kübra Gümüşay (Buch)
- Euer Schweigen schützt euch nicht von Audre Lorde und der Schwarzen Frauenbewegung
- We Were Eight Years in Power von Ta-Nehisi Coates (Buch)
- Good and Mad – The Revolutionary Power of Women’s Anger von Rebecca Traister (Buch, für die Intersektion von Feminisus und Rassismus – und damit vor Allem den Rassismus vieler weißer Feminist*innen am Anfang der Bewegung)
- Bad Feminist von Roxane Gay (Buch)
- Sister Outsider von Audre Lorde (Buch)
- Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics von Kimberle Crenshow (Artikel)
- When They See Us (Serie, Netflix)
- 13th (Film, Netflix)
- Blackkklansman (Buch und Film)
- The Hate U Give (Buch und Film)
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