Interessantes und Hilfreiches

Weg mit 219a!

Änderung oder Streichung? Hier legt Prof. Dr. Ulrike Busch dezidiert dar, warum § 219a aus dem StGB gestrichen gehört.

 

Streit um Paragraph 219a – Selbsternannte Lebensschützer gegen Frauenärzte

– von Gaby Mayr (Deutschlandfunk Kultur, 09. April 2018)

Nora Szász: „Meine Mutter selbst ist ja Krankenschwester, und hat in den Fünfziger-Jahren in Frankfurt in der Universitätsfrauenklinik gearbeitet, und die hat wirklich die Zeit noch erlebt, wo die Frauen mit versuchten Schwangerschaftsabbrüchen, wo sie sich an irgendjemand gewandt haben, in die Klinik kamen, und meine Mutter sagte: Die Frauen sind da reihenweise gestorben. Und es war nicht nur das elendige Sterben der Frauen, sondern das Schlimme war die Art und Weise, wie sie behandelt wurden, vor allen Dingen von den Ärzten.

Und sie erinnert sich an eine junge Frau, und das hat sie dann unter Tränen erzählt, meine Mutter ist Mitte 80, dass eine junge Frau, die ein vierjähriges Kind hatte, weinend im Bett lag und gesagt hat: Was soll mit meinem Kind werden? Überlebe ich? Und wenn ich nicht überlebe, was wird mit meinem Kind? Und da hat sie die Hand so nach dem Arzt ausgestreckt, und der hat sie in die Seite geboxt und gesagt: Sie sind selber dran schuld, das hätten Sie sich früher überlegen können.

[…]

Markus Krause. Er hat Nora Szász und ihre Kollegin angezeigt.

„Ich mach das Ganze jetzt seit gut drei Jahren. Ich habe, so würde ich mal schätzen, 60, 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby.“
[…]
Ich bin verabredet mit dem Mann aus Kleve, der in ganz Deutschland Ärztinnen und Ärzte wegen Verstoßes gegen Paragraph 219a anzeigt. Per Mail haben wir vereinbart, dass wir uns an einer Kreuzung in einer Einfamilienhaus-Siedlung treffen. Als ich komme, wartet dort bereits ein junger Mann – etwas massig, dunkle unauffällige Kleidung, Brille. Er steigt in meinen Wagen – das Interview soll im Auto stattfinden. Wir fahren in eine Parkbucht. Seinen richtigen Namen möchte der junge Mann nicht im Radio hören.

„Es geht ja hier um die Erstattung von Strafanzeigen gemäß Paragraph 219a, und leider gibt es einige gewaltbereite linke Abtreibungsbefürworter, und davor möchte ich mich schützen.“

Der Anzeigeerstatter nennt sich Markus Krause.

„Ich bin 27, ich habe hier Abitur gemacht, in Kleve, und habe danach Mathematik studiert, mache ich auch noch. Ich arbeite derzeit an meiner Abschlussarbeit. Das sind eher theoretische Gebiete der Mathematik, wo ich forsche, die nicht direkt anwendbar sind. Also ich würde, wenn es geht, gerne an der Uni bleiben, dort übernommen werden als Dozent, als Fachkraft, das würde mir sehr gut gefallen.“

Das Thema Schwangerschaftsabbruch interessiert Markus Krause seit seiner Schulzeit.
„Das ist auf jeden Fall meine Leidenschaft, das menschliche Leben zu schützen, ja.“

Wo immer Eizelle und Spermium zusammenkommen, will Markus Krause „schützen“.

„Es gibt ja auch zum Beispiel Fälle, dass sich die befruchtete Eizelle statt in der Gebärmutter in den Eierstöcken einnistet. Die Eizelle ist zu diesem Zeitpunkt ja befruchtet, ist also bereits zu dem Zeitpunkt als Mensch zu sehen. Ist nach Möglichkeit zu schützen.“

Eine Eileiterschwangerschaft ist für die Frau, wenn sie nicht rechtzeitig entfernt wird, lebensbedrohlich.

„Und da bin ich natürlich auch irgendwann auf den Paragraphen 219a gestoßen: Ob das umgesetzt wird. Ob sich daran Ärzte auch halten. Und habe dann festgestellt, dass das vielfach nicht so ist. Der Gesetzgeber möchte hier, dass die Frauen diese Informationen, wo sie ihren Schwangerschaftsabbruch vornehmen können, ausschließlich von den gesetzlich anerkannten Beratungsstellen haben. Denn die sind zur Neutralität verpflichtet. Sie haben auch keinen finanziellen Vorteil, ob die Frau jetzt abtreibt oder nicht, dadurch verdienen sie nichts.

Anders wäre es ja bei den Praxisärzten, die natürlich ein finanzielles Interesse daran haben könnten, wenn eine schwangere Frau, die überlegt: Soll ich abtreiben oder nicht, dann tatsächlich sich entscheidet abzutreiben.“
[…]
Während des ganzen, über einstündigen Interviews versuche ich, das Gespräch auf eine persönliche, emotionalere Ebene zu lenken: Weiß Markus Krause, wie es ungewollt schwangeren Frauen geht? Hat er mit Frauen gesprochen? Nein. Im Gegenteil.

„Die Tatsache, dass ich ein Mann bin und keine Frau, also nicht selber schwanger werden kann – ich kann deshalb auch nicht so voreingenommen sein. Sondern auch objektiv damit umgehen.“

Ein anderer Gedanke: Hatte Markus Krause vielleicht eine Erfahrung im Zusammenhang mit einem Abbruch, die ihm besonders nahe ging? Er hatte mir erzählt, dass er seit zwei Jahren eine Freundin hat.

„Wir wollen Kinder haben, aber eben erst, wenn wir unsere Ausbildung fertig haben.“
„Und da sorgen, wenn Sie mir die Frage gestatten, beide sorgen dafür, dass keine ungewollte Schwangerschaft entsteht?“

„Wir wollen bis zur Ehe enthaltsam leben, bislang, deshalb stellt sich diese Frage jetzt nicht, ja.“

 

PULS-Reportage zum Thema Abtreibung

Teil 1:

Ariane will herausfinden, was auf eine schwangere Frau wirklich zukommt, wenn sie abtreiben möchte. Von der ersten Recherche im Internet bis zur Frauenärztin, die den Abbruch durchführen würde. […]

Teil 2:

Ariane und Sebastian wollen herausfinden, wie es Frauen vor, während und nach einer Abtreibung geht. Zwei Geschichten, zwei unterschiedliche Gefühlswelten: Sebastian trifft Nicki. Sie wurde ungewollt schwanger und hat 2007 abgetrieben. Heute bereut sie ihre Entscheidung. Im Gegensatz dazu ist für Anna auch heute noch klar, dass die Abtreibung die richtige Entscheidung war. Anna wurde 2015 schwanger und erzählt Ariane ihre Geschichte. Nicki und Anna geben intime Einblicke in ihre Gefühlswelt vor, während und nach der Abtreibung.

Vielen Dank an das Team von PULS für ihre fundierte und sachliche Arbeit zu dem Thema! Mehr davon findest Du → hier.

 

Teufels wichtiger Beitrag

– von Caroline Rosales (Zeit, 04. April 2018):

Warum wird über das Werbeverbot für Abtreibungen diskutiert? Es muss vielmehr darum gehen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren, damit Aufklärung möglich ist.

[…]

„Ein vernünftiges Mädchen wird nicht schwanger“, sagte mir seine Mutter beim Abendessen. Damit war die Sache erledigt.

In den nächsten zwei Wochen sah ich Danica zu. Beim Hefteauspacken, beim Stumm-Dasitzen, beim Aus-dem-Fenster-Schauen. Offiziell sind Abtreibungen in Deutschland nach wie vor illegal. Eine Straftat, die unter bestimmten Bedingungen geduldet wird. Das deutsche Gesetz sieht es vor, dass zwischen dem verpflichtenden ergebnisoffenen Gespräch bei einer anerkannten Beratungsstelle und dem Schwangerschaftsabbruch drei Tage liegen müssen. Dass wie bei Danica zwischen dem Gespräch und der Terminfindung beim Arzt zwei Wochen liegen können, steht in der entsprechenden Regelung natürlich nicht. Sowieso war das Thema ein Tabu. Dabei hatten wir Mädchen so viele Fragen dazu. Doch im Sexualaufklärungsunterricht: nichts. In der Bravo oder anderen Jugendmagazinen: kein Wort. Zu Hause: zu unangenehm.

Dafür erfuhr ich als junge Frau aus einer Schrift der französischen Bestsellerautorin und Abtreibungsaktivistin Benoîte Groult, wie sie in den Siebzigern an sich selbst und bei ihren Schwestern sogenannte Curretages durchführte – mit Sticknadeln und siedendem Wasser. Im Jahr 1975 wurden Abtreibungen in Frankreich schließlich legalisiertund die Frauen starben nicht mehr am privaten Versuch einer Abtreibung. Ich verschlang jedes Wort. Mit jemandem darüber zu reden, traute ich mich allerdings nicht. So lebte ich von den Fakten und Mythen über Abtreibung, die mir das Leben wie Brotkrumen hinwarf. Immer nur Fetzen von Informationen, hier und da mal ein Gerücht, nichts Genaues wusste keiner.

[…]

Denn so langsam dämmerte es mir – und der Eindruck ist bis heute geblieben –, dass es Dinge gibt in Deutschland, so zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche, die wie selbstverständlich in eine offene Gesellschaft gehören, über die aber nicht geredet werden darf, die zum Wohle der christlichen oder konservativen Gesellschaftsordnung nicht existieren dürften. Die Frauen, die diese Eingriffe verlangen, werden kriminalisiert, als Gruppe marginalisiert und am Ende in einer jährlichen Statistik versteckt.

 

 

Schwangerschaftsabbruch. Allein mit dem Kind im Bauch

– von Johann Haag (ZeitCampus, 23. Februar 2018)

Es war kurz vor Weihnachten und beim Gedanken an eine Weihnachtsgans wurde mir schlecht. Meine Mutter scherzte am Telefon: Bist du schwanger oder was ist los? Eigentlich konnte es nicht sein. Mein damaliger Freund und ich hatten mit Kondom verhütet, überfällig war ich auch noch nicht. Aber komische Gelüste hatte ich. Sicherheitshalber machte ich einen Schwangerschaftstest. Dann noch einen zweiten. Und einen fünften. Alle positiv.

Ich war fassungslos, rief meinen Exfreund an und erfuhr: Das Kondom war gerissen. Er hatte es mir nicht gesagt, weil er glaubte, es sei nicht nötig gewesen, weil ich doch erst kurz zuvor meine Tage gehabt hatte. Ich war unglaublich wütend, fühlte mich hilflos und betrogen. Aus gesundheitlichen Gründen darf ich nicht hormonell verhüten, aber hätte ich von dem Riss im Gummi gewusst, wäre ich das Risiko eingegangen und hätte die Pille danach genommen.

[…]

Im neuen Jahr konnte ich endlich zum Arzt: Ich war schwanger, seit vier Wochen und sechs Tagen. Allerdings konnte der Frauenarzt noch keine Herzaktion feststellen und wollte sichergehen, dass es sich nicht um eine leere Fruchthülle handelte. Als er mich eine Woche später noch mal untersuchte, erkannte er den Herzschlag. Er fragte: „Darf ich Ihnen gratulieren?“ Ich wusste es nicht. Bis zu diesem Tag hatte ich immer noch gehofft, doch nicht schwanger zu sein. Ich wollte nie Kinder haben, fand sie nervig und anstrengend. Und jetzt schwanger, von diesem Kerl?

[…]

Erst am 3. Dezember schliefen wir miteinander. Zum ersten und einzigen Mal. Eine Woche später fand ich heraus, wer mein Freund wirklich war: vorbestraft, verheiratet und Vater von drei Kindern. Seine Erzählungen hatten mich immer öfter stutzig gemacht, so Vieles passte nicht zusammen: Ich stellte ihn zur Rede. Er wich mir aus. Ich setzte ihn vor die Tür.

[…]

Ich konnte dieses Kind einfach nicht bekommen. Wenige Tage nach dem Termin beim Frauenarzt besorgte ich mir einen Beratungsschein und ging zur Diakonie. Dort musste ich laut aussprechen, warum es nicht ging: Ich steckte mitten in der Ausbildung und konnte nicht auf finanzielle Unterstützung meiner Familie zählen. Auf den Vater des Kindes erst recht nicht. Außerdem habe ich mit psychischen Problemen zu kämpfen und einen Herzfehler, der das Schlaganfallrisiko während der Schwangerschaft und der Geburt enorm erhöht.

[…]

Drei Tage später lag ich in einem Krankenhausbett und wartete darauf, dass mich jemand aus dem Wartezimmer schiebt. Drei andere Frauen lagen neben mir. Eine war vergewaltigt worden, die beiden anderen hatten eine Fehlgeburt. Nach und nach wurden sie aufgerufen, eine knappe Stunde später kamen sie wieder. Es kam mir vor wie eine Massenabfertigung.

[…]

Alles war bereit, das EKG verkabelt, die Narkose besprochen und ich fing an zu weinen. Ich war mir plötzlich sicher: Ich will das nicht.

Die Ärztin brach alles ab, schickte die Schwestern raus und wir redeten. Ich, halbnackt im OP-Hemdchen im Bett sitzend, sie mir gegenüber. Die Ärztin nahm sich Zeit für mich, bestimmt länger, als die OP gedauert hätte, sie sprach mir Mut zu. Sagte, dass ich das schaffen könne.

Ihre Worte taten gut, aber die Angst davor, zu versagen, konnte sie mir nicht nehmen. Meine Sorgen blieben: Bin ich dem gewachsen? Bin ich schlau genug? Kann ich meinem Kind Manieren beibringen? Kann ich meinem Kind überhaupt irgendwas bieten als Alleinerziehende? Ich hab doch überhaupt keine eigenen Qualitäten. Es war Nachmittag, als ich das Krankenhaus verließ. Total zittrig und klapprig. Ich hatte auf mein Herz gehört. War das die richtige Entscheidung?

[…]

Anfang September kam Aimée zur Welt. Und es gab keinen Tag, an dem ich meine Entscheidung bereut hätte.