17 Fragen, 17 Antworten: Was muss ich über Abtreibung wissen?

Stefan Nachtwey (Familienplanungszentrum Berlin) im Interview mit ZeitJung:

Wie läuft ein solches Beratungsgespräch ab?

Per Gesetz muss immer Pro-Leben beraten werden, das heißt in Richtung der Austragung des Kindes. Natürlich müssen die Träger gleichzeitig neutral bleiben. Wie die Berater*innen mit diesem schwierigen Spagat umgehen, hängt immer von der beratenden Person ab. Prinzipiell verlaufen die Gespräche sehr individuell. Sie können 5 Minuten oder bis zu 2 Stunden dauern. Folgetermine können auf Wunsch wahrgenommen werden. Am Ende der Sitzung erhält die Frau einen Beratungsschein, den sie zum Eingriff vorlegen muss. Grundsätzlich gilt: Wer berät darf den Schwangerschaftsabbruch nicht durchführen. Beide Termine müssen in zwei unterschiedlichen Einrichtungen stattfinden.

Wie finde ich einen Arzt/ eine Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt?

Sich im Internet zu informieren ist schwierig, weil es verboten ist, diese Informationen auf seinen Webseiten zu veröffentlichen. Bei den Beratungsstellen erhalten Frauen theoretisch eine Liste mit allen Ärzt*innen, die solche Eingriffe durchführen. Diese Listen sind meist sehr individuell und können in der Auswahl stark schwanken. Da ist es fraglich, ob mit dieser Liste die Informationsfreiheit gewährleistet bleibt. Momentan wird eine umfassende Liste vom Senat überarbeitet, jedoch ist noch unklar, wann diese veröffentlicht wird. Grundlegend ist es sehr hilfreich, wenn ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Patientin und Frauenärzt*in besteht. Dann kann diese*r oft schon weiterhelfen.

Was genau gilt als Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch?

Unsere Einrichtung zum Beispiel gibt Informationen auf unserer Webseite, dass wir die Eingriffe durchführen und welche Methoden zur Verfügung stellen, veröffentlichen aber keine Preise. Für solche Angaben wurde ich auch schon angezeigt, glücklicherweise wurde das Verfahren eingestellt. Das Problem ist, dass Informationen und Werbung fließend in einander übergehen. Außerdem verbietet der §219a das Anbieten „eines Vermögensvorteils wegen“ oder „in grob anstößiger Weise“. Wie genau man sich das vorstellen kann, ist gesetzlich nicht geregelt. Deshalb besteht auch die Möglichkeit, Ärzt*innen immer wieder anzuzeigen, da der Interpretationsspielraum sehr groß ist. Eigentlich ist §219a nicht notwendig. Ärzt*innen haben ohnehin durch die Berufsordnung bereits Restriktionen, die das Anbieten von bestimmten Leistungen einschränken. Dafür ist kein Strafgesetzbuch notwendig.

Wie wird ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt?

Es gibt die operative und die medikamentöse Methode. Dafür sind jeweils drei Termine notwendig. Beim ersten Termin findet eine Voruntersuchung mit Aufklärungsgespräch statt. Entscheidet sich die Frau für die OP, erfolgt beim zweiten Termin der Eingriff. Dieser kann in lokaler Anästhesie oder in Vollnarkose erfolgen. Zunächst wird bei Bedarf ein muttermundweitendes Medikament in die Vagina eingeführt und daraufhin das Schwangerschaftsgewebe unter Ultraschallkontrolle abgesaugt. Der letzte Termin ist die Nachkontrolle.

Bei der rein medikamentösen Methode wird beim ersten Termin zusätzlich zu den Gesprächen ein Medikament gegeben, das die Wirkung des Schwangerschaftshormons Progesteron aufhebt und die Schwangerschaft abbricht. Am zweiten Tag wird wieder das muttermundweitendes Medikament in die Vagina eingeführt. Auch bei diesem Verfahren erfolgt ein dritter Termin zur Kontrolluntersuchung.

Mehr zu den Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs findet ihr auch →hier.

Ziel ist es, Schwangerschaftsabrüche zu verunmöglichen, sowohl von der Zugänglichkeit als auch von der Vorstellbarkeit her, dass sie eine gute, vertretbare Lösung für bestimmte Probleme sind.

Kirsten Achtelik und Eike Sanders im Interview mit Der Freitag.

Hier ein paar interessante Auszüge, um euch neugierig auf mehr zu machen:

Der Freitag: Was machen „Lebensschützer_innen“?

Kirsten Achtelik: In erster Linie setzen sie Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, und Frauen im Allgemeinen unter Druck. Ziel ist es, Schwangerschaftsabrüche zu verunmöglichen, sowohl von der Zugänglichkeit als auch von der Vorstellbarkeit her, dass sie eine gute, vertretbare Lösung für bestimmte Probleme sind.

Eike Sanders: Sie betreiben auch Gehsteigberatung, oder eher: Gehsteigbelästigung. Sie stehen vor den Praxen und Beratungsstellen. Sie zeigen übergroße Bilder von Föten, die im Fruchtwasser schwimmen und am Daumen nuckeln. Und es wird eine Art Psychoterror betrieben: „Willst du wirklich Mörderin werden?“

Seit wann gibt es sie und aus welchem Milieu rekrutieren sie sich?

Sanders: Wir beobachten die Bewegung schon lange, als Teil einer im Weitesten gefassten konservativen bis extremen Rechten – CDU und rechts davon. Sie sind seit den 70ern präsent. Protagonisten sind etwa die „Aktion Lebensrecht für Alle“, Teile der Kirchen, vor allem der katholischen, evangelikale Gemeinden, Freikirchen. Im Parteienspektrum sind es die Christdemokraten für das Leben. Mit der AfD ist ein Player hinzugekommen. Teile der Neuen Rechten beteiligen sich über ihre Publikationsorgane. Die Junge Freiheit featurt zum Beispiel regelmäßig den „Marsch für das Leben“. Sie arbeiten sich am Thema Schwangerschaftsabbrüche ab, verbinden es aber auch mit Antifeminismus und Sexualmoral. Lebensweltlich ist diese Bewegung ganz klar christlich fundamentalistisch geprägt.

Achtelik: Die „Lebensschutz“-Bewegung war immer eine Gegenbewegung zum Feminismus. Sie hat sich explizit so gegründet, als die Frauenbewegung erste Erfolge bei ihren Forderungen für das Recht auf Abtreibung und reproduktive Rechte verbuchen konnte. Sie richtet sich gegen das Ideal einer Gesellschaft, in der das Begehren so weit wie möglich ermöglicht werden soll, statt eingeschränkt, weil das angeblich dem Glauben widerspricht. Da ist eine Kampflinie.

Viele glauben, dass Abtreibung in Deutschland legal ist.

Achtelik: Der Paragraf 218 steht im Strafgesetzbuch. Schwangerschaftsabbrüche sind strafbar und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Woher das Nichtwissen kommt, ist schwer zu sagen. Eine Ursache ist, dass Abtreibungen immer noch tabuisiert sind. Ich erinnere mich an eine 8.-März-Demo Mitte der nuller Jahre, da war ich mit einer Freundin mit einem „Smash 218“-Transpi unterwegs. Wir sind von einigen angesprochen worden, die noch nie von dem Gesetz gehört hatten. Das ist sicher auch eine Generationenfrage, für die Feministinnen der 70er war das zentral, die jüngere Generation hat sich nach dem queer-feministischen turn lange mit anderen Fragen beschäftigt.

Bei der Bundestagsdebatte um Paragraf 219a klangen Union und AfD fast gleich.

Sanders: Klar, das Wording von Union und AfD ist in Teilen gleich, aber es ist das Vokabular der „Lebensschutz“-Bewegung: Die Frau unsichtbar machen, nur davon reden, dass eine befruchtete Eizelle gleich ein Kind, gleich ein ungeborener Mensch sein soll, das ist das, was diese Bewegung schon immer gemacht hat.

„Sie müssen schweigen, als täten sie etwas Verbotenes. Ihre Arbeit wird kriminalisiert. Sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche werden zu einer Art Geheimwissen.“

Davina Höflich (Bundesvorsitzende von proFamilia) im Interview mit SpiegelOnline.

SPIEGEL ONLINE: Die Gesetzeslage kommt einem Informationsverbot gleich. Was bedeutet das für Schwangere?

Höblich: Eigentlich haben Frauen laut Gesetz das Recht, sich ihren Arzt frei auszuwählen. Doch wie soll das gehen, wenn es keine frei zugänglichen Informationen darüber gibt, welche Ärzte einen Abbruch vornehmen? Der Schwangerschaftsabbruch wird so zum Tabu. Es wird den Frauen auch erschwert, sich für eine bestimmte Methode des Schwangerschaftsabbruchs zu entscheiden. Denn es wird nicht veröffentlicht, welche Gesundheitseinrichtungen welche Methoden anbieten.

[…]

SPIEGEL ONLINE: Vertreter der Kirche und der Union warnen, ohne Paragraf 219a könnten Abtreibungen künftig im Internet, Fernsehen oder Zeitschriften beworben werden. Droht eine Verharmlosung des Eingriffs?

Höblich: Wir von pro familia halten die Kritik für unsachlich und undifferenziert. Eine „anpreisende Werbung“ ist Ärzten laut Berufsordnung ohnehin verboten. In Frankreich und der Schweiz hat die Zahl der Abtreibungen durch die frei zugänglichen Informationen auch nicht zugenommen. Insgesamt ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche rückläufig. Außerdem bin ich überzeugt, dass betroffene Frauen und Paare die Entscheidung zu einem Abbruch niemals leichtfertig treffen.

„Selbsternannte Lebensschützer gegen Frauenärzte“

Hier ein wirklich fantastischer Podcast von Gaby Mayr zum Thema § 219a für Deutschlandfunk Kultur – Anhören lohnt sich! → Hier geht’s zum Podcast.

Im Folgenden ein Auszug über einen von zwei Männern, die „hobbymäßig“ (!) Anzeigen gegen Ärzt*innen stellen und damit versuchen jährlich hunderttausenden Menschen mit Uterus das Recht auf unabhängige und sachliche Informationen abzusprechen.

Markus Krause. Er hat Nora Szász und ihre Kollegin angezeigt.

‚Ich mach das Ganze jetzt seit gut drei Jahren. Ich habe, so würde ich mal schätzen, 60, 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby.‘
[…]
Ich bin verabredet mit dem Mann aus Kleve, der in ganz Deutschland Ärztinnen und Ärzte wegen Verstoßes gegen Paragraph 219a anzeigt. Per Mail haben wir vereinbart, dass wir uns an einer Kreuzung in einer Einfamilienhaus-Siedlung treffen. Als ich komme, wartet dort bereits ein junger Mann – etwas massig, dunkle unauffällige Kleidung, Brille. Er steigt in meinen Wagen – das Interview soll im Auto stattfinden. Wir fahren in eine Parkbucht. Seinen richtigen Namen möchte der junge Mann nicht im Radio hören.

‚Es geht ja hier um die Erstattung von Strafanzeigen gemäß Paragraph 219a, und leider gibt es einige gewaltbereite linke Abtreibungsbefürworter, und davor möchte ich mich schützen.‘

Der Anzeigeerstatter nennt sich Markus Krause.

‚Ich bin 27, ich habe hier Abitur gemacht, in Kleve, und habe danach Mathematik studiert, mache ich auch noch. Ich arbeite derzeit an meiner Abschlussarbeit. Das sind eher theoretische Gebiete der Mathematik, wo ich forsche, die nicht direkt anwendbar sind. Also ich würde, wenn es geht, gerne an der Uni bleiben, dort übernommen werden als Dozent, als Fachkraft, das würde mir sehr gut gefallen.‘

Das Thema Schwangerschaftsabbruch interessiert Markus Krause seit seiner Schulzeit.
Das ist auf jeden Fall meine Leidenschaft, das menschliche Leben zu schützen, ja.‘

Wo immer Eizelle und Spermium zusammenkommen, will Markus Krause „schützen“.

‚Es gibt ja auch zum Beispiel Fälle, dass sich die befruchtete Eizelle statt in der Gebärmutter in den Eierstöcken einnistet. Die Eizelle ist zu diesem Zeitpunkt ja befruchtet, ist also bereits zu dem Zeitpunkt als Mensch zu sehen. Ist nach Möglichkeit zu schützen.‘

Eine Eileiterschwangerschaft ist für die Frau, wenn sie nicht rechtzeitig entfernt wird, lebensbedrohlich.

‚Und da bin ich natürlich auch irgendwann auf den Paragraphen 219a gestoßen: Ob das umgesetzt wird. Ob sich daran Ärzte auch halten. Und habe dann festgestellt, dass das vielfach nicht so ist. Der Gesetzgeber möchte hier, dass die Frauen diese Informationen, wo sie ihren Schwangerschaftsabbruch vornehmen können, ausschließlich von den gesetzlich anerkannten Beratungsstellen haben. Denn die sind zur Neutralität verpflichtet. Sie haben auch keinen finanziellen Vorteil, ob die Frau jetzt abtreibt oder nicht, dadurch verdienen sie nichts.

Anders wäre es ja bei den Praxisärzten, die natürlich ein finanzielles Interesse daran haben könnten, wenn eine schwangere Frau, die überlegt: Soll ich abtreiben oder nicht, dann tatsächlich sich entscheidet abzutreiben.‘

[…]

Während des ganzen, über einstündigen Interviews versuche ich, das Gespräch auf eine persönliche, emotionalere Ebene zu lenken: Weiß Markus Krause, wie es ungewollt schwangeren Frauen geht? Hat er mit Frauen gesprochen? Nein. Im Gegenteil.

„Die Tatsache, dass ich ein Mann bin und keine Frau, also nicht selber schwanger werden kann – ich kann deshalb auch nicht so voreingenommen sein. Sondern auch objektiv damit umgehen.“

Ein anderer Gedanke: Hatte Markus Krause vielleicht eine Erfahrung im Zusammenhang mit einem Abbruch, die ihm besonders nahe ging? Er hatte mir erzählt, dass er seit zwei Jahren eine Freundin hat.

„Wir wollen Kinder haben, aber eben erst, wenn wir unsere Ausbildung fertig haben.“
„Und da sorgen, wenn Sie mir die Frage gestatten, beide sorgen dafür, dass keine ungewollte Schwangerschaft entsteht?“

„Wir wollen bis zur Ehe enthaltsam leben, bislang, deshalb stellt sich diese Frage jetzt nicht, ja.“