Liebe Interessierte, Liebe Unterstützer*innen,
Vor Kurzem hat uns nachfolgende E-Mail eines unserer künftigen Kollegen erreicht. Da darin Vorwürfe formuliert werden, denen wir öfter Paroli bieten müssen, möchten wir sowohl die Nachricht als auch unsere Antwort darauf hier veröffentlichen.
Wir hoffen, damit auch anderen Menschen – die uns hoffentlich freundlicher gesinnt sind – mögliche Fragen beantworten zu können.
Eure Medical Students for Choice

Sehr geehrter Herr ,
Da Sie die „unwichtige Marginalie“ immerhin für so wichtig empfunden haben, sie niederzuschreiben, möchten wir gerne darauf eingehen.
Wie Sie vermutlich wissen, ist die Bezeichnung „Studierende“ ein Kompromiss, der eine der vielen Unzulänglichkeiten der deutschen Sprache umgehen soll. Um unnötige Konstruktionen mit Unterstrich, Binnen-I oder Gendersternchen zu vermeiden, erscheint es uns als eleganter – sofern möglich – auf Konstruktionen wie die obige zurückzugreifen. Dass Sprache unser Denken beeinflusst, ist mittlerweile zweifellos wissenschaftlich nachgewiesen, sodass diese Erkenntnisse glücklicherweise auch Eingang in unsere gesellschaftlichen Umgangsformen finden. Abgesehen davon zeugt es von Respekt, wenn man alle Angesprochenen auch tatsächlich anspricht und nicht nur „mitmeint“, wie Sie das mit Ihrer Formulierung tun.
Viele Ihrer Fragen haben wir bereits mehrfach auf unserer Homepage bzw. in Interviews (die meisten davon sind ebenfalls ebendort verlinkt) beantwortet. Nichtsdestotrotz möchten wir sie Ihnen gerne nochmals persönlich beantworten.
Der Gegenstandskatalog der Staatsexamina für Humanmedizin in Deutschland sieht vor, dass wir neben den rechtlichen und ethischen auch die medizinischen Aspekte zum Thema Schwangerschaftsabbruch beherrschen. Da letztere aber in unserem Curriculum an der Charité bisher nicht behandelt wurden, fordern wir ein, worauf wir ein Recht haben: dass unsere Universität uns auch das lehrt, was wir für diese Prüfungen können müssen.
Unsere Forderungen beziehen sich auf die theoretische Behandlung dieser praktischen Aspekte (medikamentöser Abbruch und operativer Abbruch + jeweilige Vor- und Nachteile), die im Übrigen an vielen Universitäten nicht stattfindet, wie aus den Recherchen von Miriam Lenz hervorgeht.
So wie wir eben auch die Schritte einer Appendektomie, einer Hemikolektomie, einer Cholezystektomie etc. pp. (allesamt im Gegenstandskatalog der Charité verankert) erlernen.
Die Papaya als Modell bzw. der Papayaworkshop als Lehrkonzept ist international anerkannt und beider Berechtigung bereits mehrfach durch Studien belegt. Es wäre daher vermessen, zu behaupten, wir wüssten es besser und könnten mit besseren Modellen oder Lehrkonzepten aufkommen, weswegen sich die Adaption genau dieses Lehrformats nicht nur anbietet, sondern durchaus geboten ist. Es sei hier nur eine Randbemerkung, dass sich die Charité es hätte einfach machen und den Workshop einfach ins Curriculum hätte integrieren können. Schließlich wird er bspw. an der University of California und an mehreren anderen Med Schools weltweit bereits von den Universitäten selbst angeboten, womit die jeweiligen Länder völkerrechtlichen Forderungen bspw. der UN (und hier auch relevant des Europarats) nachkommen.
Im Workshop wird selbstverständlich neben den Methoden auch auf die jeweiligen Komplikationen eingegangen. Wir möchten Sie aber auch darauf hinweisen, dass Schwangerschaftsabbrüche zu den sichersten und komplikationsärmsten Eingriffen überhaupt zählen, sofern sie von medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden.
Wir haben dabei nie behauptet, dass man nach dem Besuch unsere Workshops einen Abbruch durchführen kann. Genauso wenig behauptet ja auch unsere Universität, dass wir nach einmaligen Praktika zu Nahtversorgung, Blasen- oder zentralvenösen Katheter etc. all diese Eingriffe beherrschen. Jedoch hat man nach unserem Workshops sowohl die theoretischen Inhalte gehört, die unsere Universität bislang verpasst hat uns zu lehren, als auch einen Eindruck davon bekommen, wie der Eingriff praktisch abläuft. Es sei außerdem angemerkt, dass der Papayaworkshop maßgeblich von 3–4 Gynäkologinnen mitgestaltet wird, die zusammen um die 100 Jahre Berufserfahrung haben. Insofern wird die Veranstaltung von ausreichend Expertise begleitet.
Ihre Unterstellung, wir sowie die uns unterstützenden Gynäkolog*innen seien frauenverachtend, sehen wir Ihnen also aufgrund Ihrer Unwissenheit nach.
Frauenverachtend ist es hingegen, zu behaupten, dass das Thema in der Basisausbildung/ im Medizinstudium irrelevant sei, wenn es in Deutschland etwa 30% (unbeabsichtigte Schwangerschaften) bzw. knapp 17% (ungewollte Schwangerschaften) der Frauen betrifft (siehe hierzu entsprechende Studien der BzgA).
À propos ist es in Deutschland – auch aufgrund der misogynen Gesetzeslage – keinesfalls so, dass Schwangerschaftsabbrüche von Gynäkolog*innen beherrscht werden müssen (vgl. hierzu entsprechende Ausbildungskataloge). Insofern ist Ihre Bemerkung, dass dieser Eingriff alleinig in diese Fachdisziplin gehört, nicht nur hinfällig, sondern schlichtweg falsch, weil die Versorgung – egal durch welche Disziplin – in Deutschland nicht gesichert ist.
Im Gegensatz zu vielen Gynäkolog*innen hat Frau Hänel nicht nur jahrelang in der Schwangerschaftskonfliktberatung gearbeitet, sondern sich auch die Mühe gemacht, den Schwangerschaftsabbruch in den Niederlanden zu erlernen. Und offensichtlich führt sie ihn nun schon seit Jahrzehnten sicher und zuverlässig durch und versorgt damit als einzige (!) ungewollt Schwangere im Großraum Gießen (es sei hier angemerkt, dass noch nicht einmal das Uniklinikum Gießen/ Marburg Abbrüche anbietet).
Unter Umständen ist es Ihnen als Psychiater nicht geläufig, dass in den operativen Fächern gilt „wer kann, der*die darf“. Wenn Sie sich also an Frau Hänels Facharzt für Allgemeinmedizin stoßen, dann ist das – mit Verlaub – Ihr Problem. Denn wer die OP-Zulassung hat, der*die darf auch operieren.
Darüber hinaus wird der Eingriff in anderen Ländern ebenfalls von anderen Fachärzt*innen (eben bspw. aus der Allgemeinmedizin) oder in Skandinavien auch von Hebammen/ Entbindungspfleger*innen durchgeführt.
Um auch auf die letzte „marginale“, aber wohl doch ausreichend wichtige Bemerkung einzugehen: Der Name unserer Gruppe stammt von der amerikanischen Mutterorganisation (Link hierzu ebenfalls zu finden auf unserer Homepage). Im angloamerikanischen Raum bezeichnet „pro choice“ oder „for choice“ die Ansicht, dass Schwangeren grundsätzlich selbst die Entscheidung überlassen werden sollte, ob sie eine (ungewollte) Schwangerschaft austragen oder nicht. Und wir sind davon überzeugt, dass alle Menschen, ob mit oder ohne Uterus, selbst darüber entscheiden können, was sie ihrem Körper zumuten wollen oder nicht.
Ich hoffe, die Unklarheiten damit ausreichend beseitigt zu haben.
Mit freundlichen Grüßen in die Heimat
Amelie von MSFC Berlin