Hierfür muss man unterscheiden, was deutschlandweit Studierende für die Staatsexamina wissen müssen und was sie tatsächlich an der Uni lernen. Diese Prüfungsinhalte werden vom IMPP (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen) in den s.g. Gegenstandskatalogen festgehalten. Es gibt zwei schriftliche Abschnitte der ärztlichen Prüfung bzw. zwei schriftliche Staatsexamina.
Dass das Thema Schwangerschaftsabbruch bereits zum 1. schriftlichen Staatsexamen im Medizinstudium thematisiert werden soll, findet man im 1. Gegenstandskatalog des IMPPs unter dem Themenkomplex “Grundlagen der Medizinischen Psychologie und der Medizinischen Soziologie” auf S. 15 zum Aspekt “Ethische Entscheidungskonflikte ärztlichen Handelns”.
Als Studierende der Charité können wir natürlich nur etwas zur Umsetzung im Unterricht an unserer Universität sagen. Wenn man die Veranstaltungen bis zum Ende des 6. Semesters (wann wir an unserer Uni dieses erste Staatsexamen beenden) auf ihre Inhalte hin überprüft, stellt man fest, dass es keine Veranstaltung gibt, die das Thema Schwangerschaftsabbruch explizit behandelt.
In der Folge, also in den Semestern, die uns auf das 2. schriftliche Staatsexamen vorbereiten, gibt es genau eine Veranstaltung (ein Seminar), die das Thema behandelt. Zunächst der entsprechende Auszug aus dem 2. Gegenstandskatalog, der auf S. 8 zu finden ist:
“Die Prüfungsaufgaben sollen unter Aspekten der allgemeinen ärztlichen Tätigkeit auf die wichtigsten Krankheitsbilder und Gesundheitsstörungen abgestellt sein. Dies sind insbesondere solche, die sich durch ihre Verbreitung, ihre Folgen für den Einzelnen oder die Gesellschaft auszeichnen.
Hierzu zählen […]
– Störungen der Geschlechtsentwicklung und der Fertilität. Familienplanung. Schwangerschaft, Beratung und Beurteilung in Konfliktsituationen, insbesondere medizinische, rechtliche und ethische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs, Risikoschwangerschaft, Beratung und Vorsorge in der Schwangerschaft. Geburt und Risikogeburt. Krankheiten des Wochenbetts. Entzündungen und Geschwülste der weiblichen Genitalorgane.”
Die Lernziele des genannten Seminars (das im Übrigen eigentlich “Voraussetzungen und Konsequenzen pränataler Diagnostik” heißt) behandeln
– “typische Indikationen und die derzeit angewendeten Verfahren der invasiven und nicht-invasiven Pränataldiagnostik”
– “die rechtlichen und ethischen Aspekte eines Schwangerschaftsabbruchs”
– “die durch einen Schwangerschaftsabbruch entstehende psychische Belastung im gesellschaftlichen Kontext”
(Quelle: Lernzielkatalog der Charité)
D.h. die medizinischen Aspekte, die im IMPP-Katalog genannt werden, werden im Seminar nicht verpflichtend behandelt und sind an der Charité damit auch nicht prüfungsrelevant.
Unsere Kritik daran ist folgende:
– Das Thema Schwangerschaftsabbruch wird trotz expliziter Nennung im Gegenstandskatalog des 1. Staatsexamens an der Charité bis zum Ablegen dieser Prüfung nicht explizit behandelt.
– Das Seminar, das bis zum 2. Staatsexamen stattfindet, weist mehrere Defizite auf. Zum einen behandelt es die medizinischen Aspekte gar nicht bzw. nur wenn entsprechend engagierte Dozierende von selbst darauf eingehen oder Studierende danach fragen. Ein Seminar von 90 Minuten im gesamten Studium für das Thema und dann noch in Verbindung mit Pränataldiagnostik ist eindeutig zu wenig. Außerdem kritisieren wir die unglückliche Verknüpfung dieser beiden Themen. Natürlich kann ein Schwangerschaftsabbruch eine Option bei einem entsprechend auffallenden Befund einer pränatalen Diagnostik sein, jedoch ist sie nicht die einzige und wir halten es für fraglich, wie gut es ist, dies bereits in den Köpfen zukünftiger Mediziner*innen so zu verankern.
Der Großteil der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erfolgt nach der Beratungsregelung (und damit vor der 12. Schwangerschaftswoche) und nicht aus einer medizinischen Indikation heraus (Quelle: Statistisches Bundesamt). Genau deswegen wäre es auch wichtig der Forderung des IMPPs nachzukommen und die verschiedenen Methoden, deren Vor- und Nachteile zu behandeln und für welchen Schwangerschaftsabbruch (Frühabbruch, wie bei der Beratungsregelung, Spätabbruch wie bspw. bei medizinischer Indikation) welche Möglichkeiten bestehen.
Zusammenfassend lässt sich also für uns festhalten:
Studierende der Charité werden nicht ausreichend darauf vorbereitet, später unter Umständen einmal einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, noch nicht einmal in der Theorie.
Einer Kritik, die uns immer wieder erreicht möchten wir vorgreifen:
Es wird immer wieder moniert, dass Medizinstudierende auch nicht lernten, wie man bspw. einen Blinddarm operiert und dass das doch Facharztwissen sei.
Das stimmt nur bedingt. Zumindest in der Theorie sollten wir sehr wohl lernen, welche Optionen (also beim Schwangerschaftsabbruch medikamentöser vs. operativer Abbruch) zur Verfügung stehen und wie solche Eingriffe vonstatten gehen. In Famulaturen und im praktischen Jahr haben Medizinstudierende oft auch die Möglichkeit bei Operationen zu assistieren. Bei welchen Eingriffen und in welchem Umfang obliegt dem oder der Operateur*in. Außerdem bemüht sich die Charité auch zunehmend praktische Fertigkeiten in ihr Curriculum aufzunehmen, wie bspw. Nahtkurse oder das Legen eines zentralvenösen Katheters. Insbesondere der letzte Eingriff ist mit großen Risiken verbunden, gerade deswegen wird er ja geübt. Spricht man mit Gynäkolog*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, verweisen diese gerne darauf, dass es sich bei einer Aspiration (also der derzeit besten operativen Methode für einen Schwangerschaftsabbruch) um einen handwerklich verhältnismäßig einfachen Eingriff handelt, der in anderen Ländern bspw. von Hebammen durchgeführt wird. Es ist also durchaus vertretbar diesen Eingriff auch im Rahmen des Medizinstudiums am Modell zu üben.
Was den zweiten Aspekt der Kritik angeht: Offiziell handelt es sich bei der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland um kein Facharztwissen, da dieses in keinem fachärztlichen Ausbildungskatalog als Ausbildungsziel genannt wird, weder in der Gynäkologie noch in der Allgemeinmedizin oder in der Allgemeinchirurgie. Insofern ist das Argument an sich schon nicht valide. Darüber hinaus lernen wir im Medizinstudium viele Aspekte, die eigentlich Facharztwissen sind, also ist diese Kritik unserer Meinung nach hinfällig.